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(Auszug):
Omar Moukhtar

Es war einer der dunkelsten Momente in einem Krieg, der schon damals in Europa vergessen und verdrängt war, als Omar Mukhtar am 16.9.1931 im Konzentrationslager Suluq bei Benghazi hingerichtet wurde: ein alter Mann von 73 Jahren, schlicht in einen hellen Burnus gekleidet, der in den Tagen vor seinem Tod Koranverse über den Frieden rezitiert hatte. In einem Schauprozess war er vor einem Militärgericht als Aufrührer und Verräter abgeurteilt worden und wurde zur Abschreckung vor den Augen von Tausenden gefangener Libyer erhängt, die man nach einem gnadenlosen Kesseltreiben zusammengepfercht und hilflos dem Tod preisgegeben hatte, wenn sie nicht das Glück hatten, als billige Arbeitskraft für die Besatzer abkommandiert zu werden. Aus der ganzen arabischen Welt waren Proteste über die großflächigen Giftgas-Bombardements und die Massaker an der Zivilbevölkerung eingegangen, aber keine westliche Regierung hatte versucht, das Abschlachten zu verhindern. Wie gewohnt druckten die Zeitungen die Nachrichten aus Rom, dass die Rebellion in Libyen mit dem Tod ihres Anführers Omar Mukhtar zerschlagen und die nordafrikanische Kolonie endlich befriedet sei. Es war höchstens Nostalgie oder ein Anflug von Orientalismus, mit dem man ein letztes Mal jenes "edlen Wilden" gedachte, dessen Ende schon mehrfach angekündigt worden war und dessen Tod man bereits erwartet hatte.

Kolonialismus und Krieg

Wenige Jahre später schickte der siegreiche Mussolini seine Statthalter Marschall Badoglio und General Graziani nach Äthiopien, wo sie ihre Strategie der Konterguerilla noch erbarmungsloser anwandten. Als 1921 in Marokko der Rif-Krieg ausgebrochen war, hatten Streiks Spanien lahmgelegt: Die Bevölkerung war nicht bereit, einen solchen Krieg zu führen. Als wenig später auch Frankreich in den Kolonialkrieg im Rif verwickelt wurde, brach sich der Protest auch dort Bahn in der Revolte der Surrealisten, die zur Gründung der KPF führte. Anfang der dreißiger Jahre aber schien in Europa die Kolonialfraktion auf dem Gipfel ihrer Macht. Jedes größere Gespür für Mitmenschlichkeit war der Öffentlichkeit ausgetrieben. Am Ende des Rif-Kriegs war der Marokkaner Abdelkrim noch als Kriegsgefangener behandelt und ins Exil geschickt worden. Omar Mukhtar, Anführer der Sanussiya in Libyen, der den Italienern zwanzig Jahre lang widerstanden hatte, wurde nur noch wie ein gemeiner Verbrecher behandelt. Selten waren sogar die Stimmen, die auch nur den eklatanten Rechtsbruch in seiner Hinrichtung sahen, schließlich hatte Italien anfangs selbst die Türkei und die Sanussiya als Kriegsgegner anerkannt. Wenn man sich auch schon damals ungern an den Krieg in Libyen erinnerte und über seine Rechtsbrüche ebenso elegant hinwegsah wie über seine Exzesse, als zählten oder existierten sie nicht, war doch allgemein bekannt, was sich auf dem Kriegsschauplatz abspielte. Alle Welt konnte wissen, was von Kolonialismus und Krieg zu halten und zu erwarten war, denn das faschistische Italien hatte beide unverhohlen bis zur letzten Konsequenz getrieben. Die Rede von der "Zivilisatorischen Mission" der Kolonialmächte, die heute in den modernen Menschenrechts- und Antiterrorkriegen wiederbegegnet, war dabei von Vornherein ein reiner Euphemismus. Wie Diplomaten zu jener Zeit dachten, verdeutlicht keiner besser als Wolfram von Richthofen, der 1929 zum Militärattaché der Weimarer Republik nach Rom entsandt worden war. Kaltblütig merkte er in seinen Lageberichten an, dass Italien in Libyen die gleiche Strategie verfolge, wie sie sich "im Hottentotten- und Herero-Aufstand in Deutsch-Südwest-Afrika schließlich als einzig erfolgreiche herausgestellt und bewährt habe. (...) Das Verfahren erforderte zwar für jede Operation lange Vorbereitungen, versprach jedoch durchschlagende Vernichtungserfolge." Zugleich verwies man darauf, dass auch Frankreich und Großbritannien in ihren Kolonialreichen im Prinzip die gleiche Politik verfolgten. Es ging dabei nicht um die Niederwerfung eines militärischen Gegners, sondern um die rücksichtslose Bekämpfung und Demütigung, ja Vernichtung der Zivilbevölkerung, die nach den Plänen der Kolonialherren von Italienern ersetzt werden sollte. Richthofen, der lediglich beklagte, dass die Italiener nicht so gründlich vorgingen wie seinerzeit in Namibia General von Trotha, sollte in Spanien einige Jahre später den Luftangriff auf Guernica leiten, und am 1.9.1939 zerstörten seine Kampfbomber die wehrlose polnische Stadt Wielun und leiteten mit diesen "Luftschlägen", die natürlich auch als "sauber" dargestellt wurden, einen Bombenkrieg ein, in dem allerdings Deutschland schnell das Nachsehen hatte.
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